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Hochparterre

Aufrütteln gegen Abbruch

‹Countdown 2030› hat eine Abrissschau organisiert, die den Rahmen des Architekturmuseums in Basel sprengt: Sie greift über auf das Internet und auf Baustellen.

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«Unsere Gruppe ist stetig am Wachsen und hat eigentlich keine Hierarchien», sagt Rahel Dürmüller. «Den straffen Zeitplan des SAM einzuhalten, brauchte viel Engagement und gelang nicht immer.» Die Architektin gehört zum Verein «Countdown 2030», der seit einigen Jahren in Basel und anderswo für eine klimabewusste Baukultur kämpft. Nun trägt das Kollektiv den Klimakampf ins Museum in Basel – und hinaus in die Welt. «Die Schweiz: ein Abriss» lautet der trockene wie bedrohliche Titel der Schau. Sie stellt keine Projekte oder Lösungen vor, sie will die Bevölkerung wachrütteln: 500 Kilogramm Baumaterial werden hierzulande jede Sekunde abgerissen.


Die Schau hat eine simple, dafür umso klarere Botschaft. «Wir wollen aufzeigen was für Werte und Massen weggeworfen werden», sagt der Architekt Leon Faust. Er gehört wie Rahel Dürmüller, Valerio Alexander Dorn und Oliver Zbinden zum kuratorischen Kernteam. «Wir wollen, dass die Baubranche sich vom Abriss und Ersatzneubau als Standardlösung verabschiedet.» Noch vor zehn Jahren hätte die Ausstellung wohl «Ersatzneubau» geheissen und das Abrissthema wäre positiv konnotiert gewesen. Heute haben sich die Vorzeichen umgekehrt, der Zeitgeist gedreht. Abbruch oder nicht Abbruch? Auf die Frage gibt es keine einfache Antwort. Auf jeden Fall setzt der Ersatzneubau eine gute Portion Optimismus und ein wenig Arroganz voraus: Wir können das besser als damals. Doch der Abriss macht viel graue und ortsgeschichtliche Energie zunichte. Klar ist zudem: Der Umbau hat mehr Potential, als wir ihm zugestehen. Auch architektonisch. (siehe Lautsprecher)

Die Abbruch-Strasse
Ursprünglich wollte «Countdown 2030» mit einer Bautafel vor dem Museum dessen fiktiven Abbruch ankünden. So subversiv wird es nun doch nicht. Im ersten Raum sehen die Besucher eine fiktive Strasse mit echten Häusern, die abgebrochen werden sollen. «Unter jedem steht das Bau- und Abrissjahr, in Anlehnung an einen Grabstein», sagt Dürmüller. Die Schau arbeitet mit Zuspitzungen, die aufrütteln sollen. Und die das Thema in die Breite tragen wollen.


Rahel Dürmüller und Leon Faust erklären die geplante Ausstellung am Modell. Videos werden zeigen, wie das Bauwerk Schweiz rückgebaut wird, so der euphemistische Ausdruck. Ein Countup addiert, wie viele Tonnen Abbruch jede Sekunde dazukommen – als Gegenstück zum «Countdown»-Zähler, mit dem der Verein seit zwei Jahren bis zum Klimazieljahr 2030 zählt. Balken und Kurven werden die Kennwerte zu CO2 und Materialströmen darstellen. Im Kommandoraum, der dem Warroom in Stanley Kubriks Film «Dr. Strangelove» nachempfunden ist, fliessen alle Informationen auf Karten zusammen. Die Botschaft: Das Thema ist dringlich, die Welt in einer Notlage.


Am Schluss können die Besucherinnen eine Petition unterzeichnen, die unter anderem den Abriss als Ausnahme fordert und die das Kuratorenteam nach der Ausstellung in Bern einreichen will. «Eine Initiative hätte unsere Energien langfristig gebunden», sagt Leon Faust. «Mit informellen Aktionen können wir von «Countdown 2030» mehr erreichen.» Wenn die Besucher aus der Ausstellung gehen, sollen sie eine Abrissquittung als Denkzettel erhalten. Sie zeigt ihnen, wie viel Kilogramm Haus während ihres Aufenthalts verschwunden ist.


Die Ausstellung will über die Mauern des Museums hinauswirken. Das Team hat mehrere Begleitaktionen ins Leben gerufen, an denen über Alternativen zum Abbruch debattiert wird. Auf der Website abriss-atlas.ch kann jeder und jede ein Gebäude hochladen, dem der Abbruch droht. «Countdown 2030» liess Plakate drucken, die auf Baustellen auf die Vorzüge des Umbauens und Sanierens hinweisen. Spaziergänge an verschiedenen Orten sollen zu den abbruchbedrohten Bauten führen.


«Countdown 2030» bauen eine partizipative, kollaborative, aktivistische Schau zwischen Internet, Museum und realer Welt. Damit spricht der Verein eine jüngere Generation an, die nicht Vorbilder und Lehrmeinungen sucht, sondern Debatten anstossen und die Welt verändern will. «Fakten haben wir genug gehört. Es braucht mehr, um einen sozialen Wandel zu schaffen. Wir wollen Emotionen bei den Leuten auslösen», sagt Rahel Dürmüller. «Wir hoffen, dass die Ausstellung und die Aktionen die Personen besser vernetzen, die am Thema dran sind.» So sollen lokale Netzwerke und Lobbys entstehen.

Über 30 involvierte Personen
«Jedes Architekturmuseum hat das Problem, dass die wichtigsten Exponate nicht im Museum stehen», sagt Andreas Ruby, Direktor des SAM. «Wir versuchen deshalb immer, in die Wirklichkeit hinauszugehen.» Bei seiner ersten Ausstellung in Basel bespielte Ruby die Fassade des Museums. Bei der Schau «Access for all» liess das SAM vor dem Eingang eine Rampe bauen, die die Menschen im öffentlichen Raum abholte. Doch so stark wie bei der Abriss-Ausstellung habe das Museum seine Grenzen noch nie gesprengt.


Umgekehrt wird «Countdown 2030» selbst zu einem Teil der Ausstellung: Die Aktivistinnen richten im Museum ihr Büro ein, arbeiten vor Ort an der Recherche weiter und geben während der Öffnungszeiten Auskunft. Die Grenzen verwischen zwischen Ausstellung und Aktivismus, Museum und Büro. Schon die Organisation der Schau durchbrach den gewöhnlichen Rahmen. Neben den vier Personen im Kernteam von «Countdown 2030» und dem Team vom SAM wirkten über 30 Leute an der Ausstellung mit – die meisten in ihrer Freizeit. Das machte Grossaktionen möglich: In einem Raum der Ausstellung liegt tonnenweise Abbruchschutt, den 15 Personen einen Tag lang mit Eimern ins Museum getragen haben. «Wir haben in unserem Architekturbüro einst einen Umbau mit 60 Freiwilligen organisiert», sagt Leon Faust. «Diese Erfahrung konnte ich hier einsetzen.»


Finanziert ist die Ausstellung über das SAM, «Countdown 2030» und Förderbeiträge. Das Kernteam gab den Rahmen vor, über den die Gruppe wöchentlich diskutiert hat. Für die einzelnen Ausstellungsteile gab es Ideen und Vorstellungen, in der Umsetzung waren die Beteiligten jedoch frei. «Wer macht, der macht», erklärt Faust das Prinzip. «Mit einem Verein zu kuratieren ist nicht einfach», sagt Direktor Ruby. «Es ist eine völlig andere Art der Autorenschaft.» Die Entscheidungsfindung dauert länger, weil man nicht am Tisch rasch Dinge beschliessen kann. Ruby glaubt, dass kollaboratives Gestalten wichtiger werden wird. Er sieht die Ausstellung auch als Experiment, das die Rolle seines Museums hinterfragt. «Wir werden zu einer Art Verstärker eines zivilgesellschaftlichen Anliegens.»


Die Personen hinter «Countdown 2030» sind Fachleute aus der Architektur, keine Szenographen. Ist das sinnvoll? Andreas Ruby findet es gut, wenn Architektinnen und Architekten sagen: «Es reicht nicht, nur Häuser zu bauen. Wir müssen mobilisieren und sensibilisieren.» Der Direktor vergleicht diese Form der «kulturellen Miliz» mit der Politik, in der die Abgeordneten ausserhalb des Parlaments auch anderen Berufen nachgehen. «Es ist keine super geschliffene Schau», sagt Dürmüller. «Aber diese Direktheit entspricht unserem Verein.» Sie versteht die Ausstellung als Aufforderung: «Uns rennt die Zeit davon und wir müssen jetzt handeln.»

«Die Schweiz: ein Abriss»
bis 23. Oktober 2022, Schweizerisches Architekturmuseum, Basel
Kuratorenteam: Verein «Countdown 2030». Projektleitung: Valerio Alexander Dorn, Rahel Dürmüller, Leon Faust, Oliver Zbinden. Mitarbeit: Leonce Aklin, Raphael Andres, Sarah Barth, Salome Bessenich, Florian Bitterlin, Steffen Blunk, lsabel Borner, Julia Büchel, Jeröme Glaser,Philippe Grossenbacher, Pascal Gubler, Andreas Haug, Tobias Hilbert, Viola Hillmer, Kizi Huber, Conrad Kersting, Friederike Kluge, Mirjam Kupferschmid, Dario Malgiaritta, Manuel Medina, Luca Peter, Palle Petersen, Louis Reineke, Hans-Christian Rufer, Robert Schiemann, Heiko Schiller, Eva Schneider, Jakob Schneider, Julia Schöni, Anastasia Skorik, Ansgar Staudt, Karen Trachsel, Julian Volken, Emily Vollmer, Lisa Walder, Basil Witt

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